Wenn die Feinde die Regeln des Krieges nicht befolgen – Ein aufschlussreiches Interview mit dem Mann, der dazu beiträgt, die ethischen Parameter der israelischen Verteidigungsarmee (IDF) festzulegen.
Von David Horovitz
Asa Kasher, Professor für Philosophie an der Universität Tel Aviv, war Mitverfasser des ersten Ethikkodexes der IDF und arbeitet weiterhin an den moralischen Grundsätzen, die die Parameter des Handelns der Armee formen.
Seit den 1970er Jahren lehrt er an den Akademien der IDF und lange Zeit war er der einzige Professor, der mit den Offizieren über Militär-Ethik sprach. Als die IDF entschied, einen Ethikkodex aufzusetzen, trat man an ihn heran und ernannte ihn zum Leiter des Teams aus Generälen, das einen Entwurf und schließlich die endgültige Version des Kodexes von 1994 schrieb, der vom damaligen Generalstabschef Ehud Barak und Premierminister Yitzhak Rabin bewilligt wurde.
In Folge von Richard Goldstones kürzlich erfolgtem Rückzug von der Anschuldigung, Israel habe während der Operation „Gegossenes Blei“ absichtlich Zivilisten angegriffen, und erneuter Diskussionen über die Moral, die der Rückzieher des Richters verursacht hat, kontaktierte ich Kasher, um mit ihm über die Ethik der IDF zu sprechen. Ich wollte das Denken verstehen, das den Verhaltensregeln der IDF zu Grunde liegt, und die Problematik, gegen Feinde zu kämpfen, die keinen solchen Regeln folgen, und die riesengroße Diskrepanz –ungeachtet der Wende von Goldstone– zwischen der Gewissheit der meisten Israelis, dass ihre Armee moralisch handelt, und der unablässigen Schmähung der IDF durch die internationale Diplomatie, Berichterstattung und Rechtsgemeinschaft.
Ich wollte Kasher auch spezifische Kritik an Handlungen der IDF in Gaza vorlegen, zu der auch solche von Kolumnisten der Jerusalem Post gehörte. Unter anderem folgende: die Behauptung, Israel sei während der Operation „Gegossenes Blei“ unberechtigt hart vorgegangen, das „Zahlenverhältnis der Toten“ von Israelis und Palästinensern zeige eine unverhältnismäßige Reaktion der Israelis, und man könne sich schlecht darüber beklagen, dass die Hamas ohne Uniform und aus Wohngegenden heraus operierte, da doch die Hamas unter Beschuss der eindringenden israelischen Armee gewesen sei und sich deshalb natürlich so effektiv wie möglich verteidigte.
Ich sollte hinzufügen, dass ich diese Kritik nicht teile. Sie wurde größtenteils heraufbeschworen, und sie wird im nächsten Konflikt wieder hervor geholt werden. Doch ich wollte den führenden Moralisten der IDF darauf ansprechen.
Vieles von dem, was Kasher sagte, hatte ich vorausgeahnt. Doch einen Großteil dessen, was er über Israels jüngste Kriege sagte, rückte er in einen Kontext, den ich bislang nicht in diesem Umfang gesehen hatte. Ich war besonders berührt von seiner Erklärung über ein in den letzten Jahren geändertes Vorgehen der IDF, das die Gefahr für die eigenen Soldaten betrifft – veranlasst durch Kasher gab es eine Veränderung im Abwägen um die Sicherheit des eigenen Personals auf der einen Seite und der „ungefährlichen Nachbarn“ von Terroristen auf der anderen Seite.
Die Menschen denken, sagte er, „dass Soldaten dazu da sind, um sich in Gefahr zu begeben, dass Soldaten dazu da sind, Risiken auf sich zu nehmen, dass dies ihre Welt ist und ihr Beruf. Doch dies ist sehr weit weg von der Realität in Israel, wo die meisten Soldaten in der IDF sind, weil der Armeedienst Pflicht ist.“ Wenn es um israelische Soldaten geht, „nahm ich, der Staat, ihn aus seinem Alltag. Er ging nicht zur Universität oder zur Arbeit, sondern ich legte ihm eine Uniform an, trainierte ihn, entsandte ihn. Wenn ich ihn in Gefahr bringe, schulde ich ihm eine sehr, sehr gute Antwort dafür, warum ich das tue. Schließlich ist dies ein demokratischer Staat, der verpflichtet ist, seine Bürger zu schützen. Wie kann ich es wagen, ihn zu gefährden?“
Professor Kasher, ich möchte mit Ihnen über die Art der Kriegsführung sprechen, in die Israel in den letzten Jahren hineingezogen wurde – über die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um den Kampf von Armee gegen Armee handelt. Israel kämpft nun gegen Feinde, die ihre Angriffsmöglichkeiten inmitten von Wohngebieten unterhalten und die in unsere Wohngebiete hineinfeuern.
Als jemand, der zentral am Entwurf des Ethikkodexes der IDF teilgenommen hat, möchte ich Sie nach den moralischen Überlegungen fragen, die der Art, wie Israel diese Kriege führt, zu Grunde liegen. Und ich möchte Sie fragen, ob Sie glauben, dass wir weiterhin fähig sein werden, uns praktisch und moralisch gegen Feinde zu verteidigen, die oftmals keine Gewissensbisse haben. Ist es uns möglich, zu überleben und uns zu schützen, ohne dass wir auf deren Niveau sinken?
2006 war ich sehr betroffen, als ich den damaligen Luftwaffenkommandeur Eliezer Shkedy interviewte und er mir sagte, dass diejenigen, die in Gaza die Kassamraketen auf Israel abfeuerten, oftmals Kinder bei sich hätten. Ich fragte ihn, ob wir diese Kinder als Kombattanten betrachteten und somit bereit wären, auf sie zu schießen. Er fühlte sich durch diese Frage verletzt. Er sagte, dass die israelische Luftwaffe (IAF) natürlich nicht auf diese Kinder schießen würde. Stattdessen hätte sie die Genauigkeit, mit der sie die Raketencrews anpeilen könnte ohne dabei die Kinder zu treffen, verbessert. („Wenn wir wissen, dass der Terrorist die Hand seines Sohns hält, schießen wir nicht“, hatte Shkedy damals gesagt. „Selbst wenn der Terrorist beim Abfeuern einer Kassamrakete ist und diese darauf abzielt, zu töten. Wir schießen nicht. Sie sollten das wissen.“)
Ich würde gerne wissen, ob wir weiterhin so vorsichtig sind, ob wir weiterhin diesem Rahmenwerk folgen. Ich frage mich, ob es moralisch ist, nicht zu schießen, wenn eine Raketencrew dabei ist, auf israelische Zivilisten zu schießen, jedoch ein Kind, das die Crew mitgenommen hat, zu nah am Geschehen ist und deshalb getroffen werden könnte.
Doch lassen Sie uns mit dieser Frage beginnen: Können wir hier überleben und Feinden gegenüber treten, die unmoralische Methoden anwenden, ohne auf deren Niveau zu sinken?
Es liegt in unserer Verantwortung, unsere moralischen Standards aufrecht zu erhalten. Dies ist eine sehr wichtige Ausgangsbasis, denn wenn es um Krieg geht, verschwimmen die Dinge manchmal. Die Menschen reden immer über Kriterien wie Völkerrecht, öffentliche Meinung, die westliche Welt – das heißt, über äußere Kriterien, denen wir entsprechen sollen. Ich sage, wir müssen unsere eigenen Standards aufrecht erhalten.
Welche Standards sind das?
Wir treffen Entscheidungen, die unsere Akzeptanz einiger Aspekte des Völkerrechts reflektieren. Es gibt andere Aspekte, denen wir nicht zustimmen. Wenn es um Moral und Ethik geht, ist die wichtigste Frage: Was sehe ich, wenn ich in den Spiegel schaue? und nicht: Was sehe ich, wenn ich BBC schaue?
Wenn der Feind skrupelloser und brutaler wird als er in der Vergangenheit war, dann müssen wir uns auf klügere und andere Weise schützen, doch immer noch gemäß den Standards, die wir für uns selbst gesetzt haben.
Sie können die Analogie von einem Polizisten und einem Bankräuber benutzen. Wenn der Polizist sieht, dass der Bankräuber ein Spielzeuggewehr in der Hand hält, wird der Polizist nicht auf ihn schießen. Er wird ihn einfach festnehmen. Doch wenn es ein richtiges Gewehr ist und der Bankräuber bereits Geiseln erschossen hat und dabei ist, noch mehr zu töten und der einzige Weg, ihn zu stoppen und die Geiseln zu retten, darin besteht, auf ihn zu schießen, dann wird der Polizist schießen.
Das Handeln des Bankräubers bestimmt die Härte meiner Schutzmaßnahmen. Es ist kein Fall von „Er wird schießen, also werde ich auch schießen“ oder „Er wird schreckliche Dinge tun, also werde ich auch schreckliche Dinge tun“ oder „Das Töten von Geißeln kümmert ihn nicht, also kümmert es mich nicht, Bankräuber zu töten“. Das ist hier überhaupt nicht der Punkt. Sondern der Punkt ist: Das Töten von Geißeln kümmert ihn nicht, aber mich kümmert es: Ich will ihn nicht erschießen. Ich erschieße ihn nur, wenn es wirklich keine Alternative gibt.
Dieser Bankräuber bedroht das Leben von Menschen. Deshalb erschießen wir ihn, wenn es keine Alternative gibt. Wenn wir ihn festnehmen können, ohne auf ihn schießen zu müssen, ist es bestens. Wenn wir ihn festnehmen können, indem wir ihn verletzen, jedoch ohne ihn zu töten, ist es auch gut. Aber wenn es keine Alternative gibt, dann ist es eine Tragödie ihn zu töten. Doch es muss getan werden.
Und dies ist im Prinzip das, was hinsichtlich unserer heutigen Feinde geschieht. Wenn unser Feind auf dem Schlachtfeld, auf freiem Gelände, in Uniform, mit offen getragenen Waffen kämpfen würde, dann wäre es ein Fall einer Armee, die einer armeeähnlichen Macht gegenüber steht, und Kinder und andere ungefährliche Menschen blieben unversehrt. Doch der Feind hat seine Art zu kämpfen geändert. Deshalb haben wir keine Wahl: Wir müssen uns den Erfordernissen entsprechend schützen.
Nun gibt es eine Grundlage für das, was wir tun müssen: Wir sind ein demokratischer Staat. Und dies bedeutet zwei Dinge: Erstens sind wir verpflichtet, unsere Bürger effektiv vor allen Gefahren zu schützen. Deshalb haben wir eine Polizei, um vor Kriminalität zu schützen, ein Gesundheitsministerium, um vor medizinischen Gefahren zu schützen, ein Verkehrsministerium, um vor der Gefahr auf den Straßen zu schützen, und ein Verteidigungsministerium, um vor den Gefahren zu schützen, die unsere Feinde darstellen.
Der Staat kann dieser Verpflichtung nicht entkommen. Er kann nicht sagen „Ich bin beschäftigt, ich habe Wichtigeres zu tun“. Es gibt nichts Wichtigeres, als das Leben der Bürger zu schützen. Nichts.
Ein demokratischer Staat möchte sich mit allen möglichen anderen Dingen befassen, mit Abkommen, Bürgerrechten, Wahlen, freier Presse und so weiter. Gut. Das ist schön. Doch um in den Genuss all dessen oder von Teilen dessen zu kommen, muss man am Leben sein. Um all das zu bekommen, um all das zu schützen, muss man zuerst das Leben schützen. Ein Staat ist verpflichtet, das Leben seiner Bürger effektiv zu schützen. Er muss sogar mehr als das tun. Er hat die Pflicht, das Wohlbefinden des Bürgers und seine Möglichkeit, sein Leben zu leben, zu sichern. Dem Bürger eines Staates muss es möglich sein, sein Leben normal zu leben. Seine Kinder morgens in die Schule zu schicken. Einkaufen zu gehen. Zur Arbeit zu gehen. Abends auszugehen. Ein Alltagsleben zu führen. Das ist nichts Außergewöhnliches. Der Staat ist verpflichtet, dies zu schützen.
Gleichzeitig besteht die moralische Grundlage eines Staates im Respekt vor der Würde des Menschen. Die Würde des Menschen muss unter allen Umständen respektiert werden. Und die Würde des Menschen unter allen Umständen zu respektieren, bedeutet unter anderem, sensibel zu sein gegenüber dem menschlichen Leben in allen Umständen. Nicht nur gegenüber dem Leben der Bürger des Staates, sondern gegenüber jedem Leben.
Dies gilt selbst für unsere Interaktionen mit Terroristen. Ich respektiere die Würde des Terroristen, wenn ich mich frage: „Muss ich ihn töten oder kann ich ihn stoppen ohne ihn zu töten?“
Und auf jeden Fall muss ich die menschliche Würde des ungefährlichen Nachbarn respektieren, der keine Bedrohung darstellt. Wir sprechen immer über „Unschuldige“, doch „Unschuld“ ist hier nicht das Thema. Das Thema ist, ob jemand gefährlich ist. Deshalb lautet das korrekte Wort „ungefährlich“.
So wie „nicht bedrohlich“?
Ja, das ist die Bedeutung. Wenn sie „ungefährlich“ sind, bedeutet das, dass ich nicht einmal den Ansatzpunkt für ein moralisches Recht habe, ihnen absichtlich etwas zuleide zu tun.
Gut, das ist die Theorie. Nun stellen Sie bitte einen Zusammenhang zur Operation „Gegossenes Blei“ her.
In Ordnung. Wir müssen unsere Bürger schützen und wir müssen die Würde des Menschen respektieren. Doch wenn es nun zu einem Krieg wie Operation „Gegossenes Blei“ kommt, dann geraten diese beiden Notwendigkeiten wahrscheinlich aneinander. Ich bin verpflichtet, meine Bürger zu schützen, doch ich habe nicht die Möglichkeit sie zu schützen, ohne die ungefährlichen Nachbarn der Terroristen in den Konflikt hineinzuziehen. Was kann ich tun?
Zwei Dinge: Erstens entscheide ich, was in der gegebenen Situation wichtiger ist. Und zweitens tue ich, was immer ich kann, um den Schaden für die andere Seite so gering wie möglich zu halten: Die effektive Verteidigung der Bürger maximieren, den Kollateralschaden minimieren.
Wie entscheide ich, welche der miteinander im Konflikt stehenden Notwendigkeiten wichtiger ist? Die Menschen mögen diesen Gedankengang nicht, weil sie ihn nicht verstehen: Sie denken, es sei unmoralisch, der Verteidigung der eigenen Staatsbürger Vorrang zu geben über den Schutz der Nachbarn von Terroristen. Sie verstehen nicht, dass wir in einer Welt leben, in der die Verantwortung geteilt ist.
Führen Sie das bitte näher aus.
Wir sind verantwortlich für die Bürger von Israel. Kanada ist verantwortlich für die Bürger von Kanada. Australien ist verantwortlich für die Australier. Und das ist auch richtig so. Wir sind nicht im gleichen Maß für die Bürger von Kanada verantwortlich wie wir für die Bürger von Israel verantwortlich sind. Anders herum gilt das genauso. Dies wird allgemein akzeptiert und es ist vollkommen moralisch und niemand stellt dies in Frage. Wir haben keine Eine-Welt-Regierung, die für alles verantwortlich ist. Wir haben Staaten mit ihren eigenen Verantwortungsbereichen.
Daher stammt die Tatsache, dass die Verantwortung für die eigenen Bürger im Fall eines Konflikts der Notwendigkeiten Vorrang hat vor der Verantwortung für ungefährliche Nachbarn. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Israelis sind oder Juden. Das gleiche gilt für die USA und Kanada und jeden anderen Staat.
Ich kann meine Hauptverantwortung, das Wohlbefinden der Bürger meines Landes zu schützen, nicht beiseite schieben. Nun werde ich aus allen Mitteln, die ich für die Verteidigung dieser Bürger zur Verfügung habe, diejenigen auswählen, die moralisch betrachtet die besseren sind – besser unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Verteidigung und der Minimierung des Schadens für den Nachbarn des Terroristen.
Und was tun wir, um den Schaden an den Nachbarn der Terroristen zu minimieren?
Wir können den Terroristen nicht von seinen Nachbarn trennen. Wir können die Terroristen nicht zwingen, wegzugehen. Sie wollen nicht weggehen. Denn dies ist ihre Strategie: Dort zu sein. Diese Strategie haben die Hamas-Terroristen in Gaza und auch die Hisbollah im Südlibanon. Sie wollen von innen heraus tätig sein. Die Terroristen haben den Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten verwischt.
Sie leben in Wohngegenden. Sie operieren aus diesen Wohngegenden heraus. Sie greifen Zivilisten an. Und sie werden nicht gehen, wenn ich ihnen sage, sie sollen gehen. Niemand hat die Macht, sie von dort wegzubringen, ohne die ganze Gegend zu erobern, was wiederum besondere Berechtigungen erfordert.
Doch wenn wir den Terroristen nicht zwingen können, zu gehen, können wir uns bemühen, seine Nachbarn zum Fortgehen zu bewegen. Der Terrorist wird seine Nachbarn nicht verlassen, doch vielleicht werden die Nachbarn gehen. Die Erfahrung zeigt uns, dass unser Bemühen Erfolg hat. Das heißt, sehr viele ungefährliche Nachbarn gehen, wenn sie gewarnt werden.
Deshalb warnen Israel und die IDF in sehr großem Umfang und sehr intensiv. Das ist beispiellos. Es gibt Menschen, denen der Ausdruck „die moralischste Armee der Welt“ nicht gefällt. Ich denke, dies ist eine sehr komplexe Redewendung, die viele sachkundige Beurteilungen verlangt. Man kann diesen Ausdruck nicht einfach munter erfinden. Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang einen genaueren Blick auf diese Redewendung werfen.
Wer unternimmt mehr Versuche als wir, die Nachbarn zu warnen, eine Konfliktzone zu verlassen? Wer macht es besser? Ich weiß nicht, was die Öffentlichkeit diesbezüglich realisiert. Kürzlich gaben wir zum Beispiel einen solchen Warnhinweis heraus, indem wir eine Karte der Hisbollah-Positionen im Südlibanon veröffentlichten. Israel gab die Details von Hunderten von Dörfern, in denen die Hisbollah eine Stellung inmitten des Dorfes einnimmt, bekannt. Von dort feuern sie auf uns, wenn und wann sie wollen. Und wir müssen uns schützen. Das bedeutet, wir müssen in dieses Dorf feuern.
Die Veröffentlichung der Karte ist eine Warnung. Sie sagt: Wir wissen, dass die Hisbollah ihre Terroristen neben ungefährlichen Nachbarn stationiert. Versteht, dass wir in dieser Situation zu unserem eigenen Schutz die Bevölkerung gefährden müssen. Die Bevölkerung muss wissen, dass sie sich in einer gefährlichen Situation befindet.
Was soll man in solch einer gefährlichen Situation tun? Wir wissen es nicht. Doch wir geben den ungefährlichen Nachbarn Bescheid, damit sie darüber nachdenken können. Sollen sie versuchen, die Hisbollah hinauszuwerfen? Das ist anscheinend sehr schwierig. Sollen sie von den Hisbollah-Stellungen wegziehen? Vielleicht ist das möglich. Sollen sie flüchten, wenn die Zeit kommt? Das mag momentan theoretisch klingen. Doch wer weiß, was sein wird, wenn die Zeit kommt? Tatsache ist, wir geben Warnungen im Voraus ab.
Nun lassen Sie uns in diesem Zusammenhang zur Operation „Gegossenes Blei“ kommen. Wir verteilten Flugblätter an die Zivilisten in Gaza, um ihnen mitzuteilen, dass sie ein potentielles Konfliktgebiet verlassen sollten. Es mag sein, dass wir diesbezüglich mehr tun könnten, indem wir Flugblätter mit ausführlicherem Inhalt verteilen, mit mehr Informationen darüber, wie sie entkommen können. Wir schalten uns in ihre Radio- und Fernsehübertragungen ein, um Durchsagen zu machen, um sie zu warnen. Dies kann vielleicht noch effektiver gemacht werden.
Wir riefen 160.000 Telefonnummern an, um Warnungen auszusprechen. Niemand auf der Welt hat jemals so etwas getan. Und es ist klar, warum dies effektiv war. Ein Telefonanruf ist kein Stück Papier, das über meinem Wohnviertel abgeworfen wird. Das Telefon klingelt in meiner Tasche. Es ist zwar eine automatische Ansage, weil man in solch großem Umfang unmöglich persönliche Anrufe machen kann. Doch es ist meine Nummer, unter der angerufen wird. Es ist eine Warnung, die an mich persönlich gerichtet ist. Es ist kein allgemeiner Warnhinweis.
Und schließlich führten wir auch die Methode „am Dach anklopfen“ durch. Die IDF benutzt hierzu Waffen, die nicht tödlich sind. Aus ihnen wird auf die Dächer von Gebäuden, die von Terroristen benutzt werden, geschossen. Diese Waffen machen eine Menge Lärm. Sie äußern laut und deutlich: Wir sind nahe. Doch ihr habt noch die Möglichkeit zu gehen.
Was wir nicht verwenden, ist die Methode „nohal shachen“ („Nachbar-Prozedur“). Kürzlich las ich Aussagen eines britischen Generals, eines Kommandeurs in Afghanistan…
General Richard Kemp?
Nein, es war jemand anderes. Er sagte während einer Pressekonferenz, dass seine Truppen sehr moralisch seien. Und dann beschrieb er ihre Methode als ein Symbol der Moral der britischen Soldaten. Und die Methode war „nohal shachen“.
Was genau sagte er über diese Methode?
Er sagte, wenn sie einen Terroristen entdecken, der sich in einem Gebäude mit ungefährlichen Nachbarn versteckt hält, veranlassen sie einen der Nachbarn, den Taliban-Terroristen, der in dem Gebäude ist, anzurufen oder durch ein Megaphon zu ihm zu sprechen und ihm auszurichten, dass man ihn und die Nachbarn nicht töten und das Haus nicht zerstören wolle. Er solle sich ergeben und werde dann abgeführt, wobei ihm verschiedene Gewährleistungen zugesagt würden. Der britische Kommandeur war sehr stolz auf diese angeblich humane Prozedur – eine Prozedur, die uns hier von den Gerichten verboten wird. Wir tun dies nicht.
Wir äußern Warnungen in beispielloser Weise. Und wir warnen nicht nur einmal sondern viele Male. Wir unternehmen große Anstrengungen, um die Nachbarn von den Terroristen zu trennen.
Nun gibt es eine weitere Sache, die wir vielleicht tun könnten. Doch darüber wird diskutiert: Wir könnten Soldaten in das Gebäude schicken, Soldaten, die kontrollieren, ob sich vielleicht noch jemand in dem Gebäude befindet. Ich bin dagegen. Sehr sogar.
Es gibt also einen Unterschied zwischen dem, was wir in Dschenin (im Jahr 2002 während der Operation „Schutzschild“, bei der 13 Soldaten in einem Hinterhalt getötet wurden) und was wir in Gaza taten?
Ja, wir haben unsere Vorgehensweise geändert. Die Vorgehensweise ist jetzt angemessener. Ich denke, das, was wir in Dschenin taten, war ein Fehler. Es gab das einfache Konzept, dass es richtig sei, die Soldaten zu gefährden. Jedes Mal, wenn wir in solch einem Dilemma steckten –Soldaten auf dieser und Nicht-Soldaten auf der anderen Seite– gerieten die Soldaten in Gefahr.
Warum war dies falsch?
Bis zu einem gewissen Zeitpunkt müssen Sie die Menschen warnen. Doch nach diesem Zeitpunkt beenden Sie die Warnungen und es gibt zwei Möglichkeiten: Dass Menschen geblieben sind, weil sie nicht gehen wollen oder dass sie geblieben sind, weil sie nicht gehen können. Wenn sie nicht gehen können –trotz aller Warnungen, trotz der vorhandenen Möglichkeiten, sie fortzubringen, trotz der Krankenwagen, die man ihnen zur Unterstützung schickt–, so ist dies ein interessanter Gesichtspunkt, und wir werden auf ihn zurückkommen.
Doch wenn ein Nachbar nicht gehen will, stellt er sich freiwillig als menschliches Schutzschild für den Terroristen zur Verfügung. Er ist Teil des Krieges geworden. Und auch wenn es mir leid tut, so werde ich ihm vielleicht schaden müssen, wenn ich versuche, den Terroristen zu stoppen. Ich versuche mein Bestes, ihm nicht zu schaden. Doch es kann sein, dass ich es in Ermangelung anderer Alternativen tun muss. In einem solchen Fall sehe ich keinen guten Grund, das Leben von Soldaten zu gefährden.
Manchmal verstehen das die Leute nicht. Sie denken über Soldaten wie, nun ja, wie über Werkzeuge. Sie denken, dass Soldaten dazu da sind, um in Gefahr gebracht zu werden, dass Soldaten dazu da sind, Risiken auf sich zu nehmen, dass dies die Welt der Soldaten ist und ihr Beruf. Doch diese Gedanken sind sehr weit entfernt von der Realität in Israel, wo die meisten Soldaten in der IDF sind, weil Armee- und Reservedienst Pflicht sind. Selbst im Fall einer stehenden Armee muss man moralische Aspekte beachten. Umso mehr im Fall von Armeepflichtigen: Ich, der Staat, schickte sie in den Kampf. Ich, der Staat, nahm sie aus ihrem Alltag. Der Soldat ging nicht zur Universität oder zur Arbeit, sondern ich legte ihm eine Uniform an, trainierte ihn und ich entsandte ihn. Wenn ich ihn in Gefahr bringe, schulde ich ihm eine sehr, sehr gute Antwort dafür, warum ich das tue. Schließlich ist dies, wie ich schon sagte, ein demokratischer Staat, der verpflichtet ist, seine Bürger zu schützen. Wie kann ich es wagen, ihn zu gefährden?
Selbst in Uniform wird er als einer der Bürger betrachtet, die der Staat verpflichtet ist zu schützen?
Ja, er ist einer der Bürger, die ich verpflichtet bin zu schützen. Doch jemand muss den Schutz ausüben. Deshalb bringt jede Generation ihre Soldaten hervor. Nun haben wir die jetzige Generation. Davor waren es die Eltern. Danach werden es die Kinder sein. Sie werden an der Reihe sein. Ihre Generation.
Und für jede Generation, für all diese Menschen in Uniform brauche ich einen sehr guten Grund, um sie an einen gefährlichen Ort zu schicken.
Warum berufe ich sie zum Armeedienst ein? Zwei Worte zur Antwort: Keine Wahl. Angesichts der Bedrohungen um uns herum würde eine Freiwilligenarmee nicht ausreichen.
Und warum sandten wir sie nach Gaza? Weil wir vor der Operation „Gegossenes Blei“ acht Jahre lang alle anderen Optionen ausprobiert haben. Es hat nichts geholfen. Es gab keine andere Wahl mehr. Wir sandten die Armee nach Gaza, weil es keine andere Wahl mehr gab.
Und warum sandten wir sie zu diesem speziellen theoretischen Haus, über das geredet haben? Weil in diesem Haus bewaffnete Terroristen waren, die Israel angriffen. Wir hatten keine Wahl. Doch nun wollen Sie Soldaten in dieses Haus schicken, falls zufällig noch jemand darin sein sollte, der es nicht verlassen wollte. Sie wollen, dass ich Soldaten hineinschicke, um ihn herauszuholen? Warum? Warum schulde ich das demjenigen, der das Haus nicht verlassen wollte? Ich habe vorab so viele Warnungen ausgesprochen, doch dieser Mann hat sich geweigert, herauszukommen. In solch einem Fall habe ich keinen guten Grund, einem Soldaten zu sagen, er müsse hineingehen. Dieser Mann in dem Haus wurde fünfmal gewarnt und hat sich entschieden zu bleiben. Dadurch zog er die Gefahr auf sich. Nach all den Warnungen muss man gegen die Terroristen agieren und gegen die, die sich entschieden haben zu bleiben, und nicht das Leben der Soldaten in Gefahr bringen.
Und was ist mit den Zivilisten, die von Terroristen daran gehindert werden, ein Konfliktgebiet zu verlassen?
Hier muss man stufenweise vorgehen. Ich werde das erklären. Stellen wir uns eine fiktive Situation vor, in der der Terrorist 20 Kinder gezwungen hat, auf die Dächer der Häuser in Gaza zu steigen, die als Aufenthaltsort von Terroristen markiert wurden. Ich sehe die Kinder auf meinen Erkundungsbildern. Auf jedem Dach befinden sich Kinder.
Das bedeutet, dass ich nicht auf diese Gebäude feuern kann. Doch sie feuern aus diesen Häusern heraus auf mich. Auf jedem der Dächer dieser Häuser sind 20 Kinder und aus dem Gebäudeinneren schießen die Terroristen. Wenn ich nicht auf die Häuser schießen kann, weil Kinder auf dem Dach sind, habe ich die Möglichkeit, mich selbst zu schützen, verloren. Es gibt nichts, was ich tun kann.
Unter solchen Umständen sagen die Leute immer: „Dann schließe halt Frieden.“ Schön. Großartig. Ich möchte Frieden. Wir streben nach Frieden. Doch im Moment stehe ich vor diesen Häusern und werde aus ihnen heraus beschossen. Jetzt über eine Friedenskonferenz zu reden, bringt die Sache nicht auf den Punkt. Oder die Leute sagen wie im Beispiel des Polizisten, der einem mörderischen Bankräuber gegenüber steht: „Erschießen Sie ihn nicht. Wir müssen Ordnung im Wohnviertel schaffen, so dass die Leute Arbeit bekommen und nicht kriminell werden.“ Das ist wieder großartig. Ja. Es ist wahr. Wir müssen eine Situation schaffen, die keinen Nährboden für Kriminelle im Viertel bietet. Doch gerade jetzt befindet sich ein bewaffneter Räuber in der Bank, der damit droht, seine Geiseln zu erschießen. Deshalb muss ich gerade jetzt die Bürger meines Staates schützen. Und wenn ich auf keines der Häuser feuere, auf deren Dächer sich Kinder befinden, dann wird es mir nicht möglich sein, meine Zivilisten zu schützen. Doch letzteres ist undenkbar und steht außer Frage.
Ich muss also –und wie man es auch betrachtet, es ist tragisch– auf eines der Häuser feuern. Ich feuere auf das erste Haus, aus dem heraus auf mich geschossen wird, selbst wenn Kinder auf dem Dach sind und einige von ihnen dabei ums Leben kommen. Ich feuere, weil ich keine andere Wahl habe, weil ich keine andere Möglichkeit habe, mich selbst zu schützen. Die Terroristen nahmen mir die üblichen Mittel der Selbstverteidigung. Es steht außer Frage, dass ich mich nicht selbst schütze, deshalb hoffe ich, dass die Terroristen ihre Kinder vom Dach holen. Ich werde warten und sehen, ob sie ihre Kinder vom Dach holen. Doch wenn sie es nicht tun, werde ich auf die Terroristen schießen. Ich habe keine andere Wahl. Ein Staat kann nicht sagen: „Ich werde zulassen, dass meine Bürger getötet werden, weil der Feind Kinder auf alle Dächer gebracht hat, und weil ich die Kinder nicht töten will.“
Das bringt mich zurück zu dem, was Sie zu Beginn über ein Interview mit dem früheren Luftwaffenkommandeur Shkedy und über die Situationen, in denen Israel schießt und nicht schießt, gesagt haben.
Ich kann mich in jeder Situation fragen, ob es eine andere Möglichkeit gibt, diesen Terroristen oder diesen Angriff zu stoppen. Vielleicht habe ich genug Zeit, um darüber nachzudenken. Wenn ich die Zeit habe, wenn ich eine Alternative habe, dann ist das gut. Als Moshe Ya’alon Generalstabschef der IDF war, sagte er einst, er habe eine gezielte Tötung von Salah Shehadeh, dem damaligen Militärführer der Hamas, verhindert, weil dessen Tochter neben ihm saß. (Shehadeh wurde schließlich bei einem gezielten Angriff im Jahr 2002 getötet. Dabei kamen 14 weitere Menschen ums Leben, unter ihnen seine Frau und seine neun Kinder. Der damalige israelische Premierminister Sharon sagte später, er hätte die Operation abgeblasen, wenn er realisiert hätte, dass dabei andere Menschen ums Leben kommen würden.) Ya’alon wusste offenbar, dass es eine andere Gelegenheit geben würde und dass er das Risiko, noch zu warten, auf sich nehmen konnte. Es war keine „Jetzt-oder-nie“-Situation.
Doch wenn wir uns in einer „Jetzt-oder-nie“-Situation befinden, gibt es keine Wahl. Ich könnte nicht schlafen, wenn ich den Befehl zu einer Operation gäbe, bei der nicht nur der Terrorist, sondern auch dessen Tochter getötet werden würden. Wenn man eine Wahl hat, muss man sie nutzen auf Grund der Notwendigkeit, die menschliche Würde zu respektieren. Doch manchmal hat man keine Wahl.
Steht Israel mehr und mehr vor solchen Zwickmühlen? Gibt es mehr und mehr Situationen, die Kommandeure keinen Schlaf finden lassen?
Wir werden immer verpflichtet sein, unsere Bürger zu schützen. Diese Verpflichtung werden wir niemals aufgeben. Sie ist fundiert. Das ist Israel. Das ist der Staat des jüdischen Volkes.
Ich wurde hier geboren und meine Eltern kamen lange vor dem Zweiten Weltkrieg hierher. Ich habe die Shoah nicht selbst erlebt. Doch meine Frau ist eine Shoah-Überlebende. Welche Lektionen lerne ich aus dem Zweiten Weltkrieg? Dass wir uns auf niemanden verlassen können. Es gibt niemanden, auf den wir uns im Verteidigungsfall verlassen können. Und wir können uns nicht erlauben, einmal nicht darüber nachzudenken, wie wir uns am besten verteidigen können. Und wenn der Feind Kinder auf die Dächer der Gebäude bringt, von denen er auf uns schießt, werden wir davor nicht kapitulieren. Es ist eine tragische Situation. Doch wir kapitulieren nicht.
Das erfordert auch eine Führung, die fähig ist, den Soldaten zu erklären, warum sie das tun müssen, warum sie etwas vollkommen entgegen ihrer Intuition machen müssen.
Auf jeden Fall. Und das Maßnahmenpaket, das wir haben, um den Schaden an denen, die ungefährlich sind, zu minimieren, sucht wirklich seinesgleichen.
Wenn wir gezielte Tötungen durchführen, ist der Genehmigungsprozess hierfür umfassend und gründlich. Es gibt auch ein Stadium der „operativen Erkundung“: Ein Modell der Situation wird entworfen, um über die akkurateste Waffe, den zweckmäßigsten Plan und die beste Perspektive zu entscheiden, damit die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Terrorist getroffen wird, doch der Kollateralschaden so gering wie möglich bleibt. Und was Shkedy Ihnen über die gezielten Angriffe sagte, wird in den Statistiken bestätigt. Heutzutage sind die Kollateralschäden bei solchen Angriffen sehr, sehr klein.
Nehmen wir nun an, dass der Pilot bei solch einem Angriff auf einen Terroristen die Rakete abgefeuert hat und in den Sekunden, bevor die Rakete trifft, einen Schulbus heranfahren sieht. Er braucht niemandes Erlaubnis, um die Mission abzubrechen und die Rakete gefahrlos anderswo detonieren zu lassen. Er entscheidet sich gegen den Angriff, um keinen Kollateralschaden zu verursachen.
Es käme niemals vor, dass wir einen gelben Schulbus angreifen würden, wie es vor einigen Tagen im umgekehrten Fall geschah, als eine Hamas-Rakete in der Nähe des Kibbutz Sa’ad einen Schulbus traf und den 16-jährigen Daniel Viflik tötete. Wir bemühen uns sehr, den Schaden auf der anderen Seite zu minimieren, den Schaden für Menschen zu minimieren, die keine Bedrohung darstellen.
Diese Palästinenser und die Hisbollah spielen ein Nullsummenspiel und es ist deprimierend. Wenn Israel nicht auf sie schießt, sind sie sehr glücklich und das kann ich nachvollziehen. Doch wenn Israel auf sie schießt und Kinder zu Schaden kommen, sind sie auch glücklich. Sie feiern. Ich glaube, dass die Mütter und Väter an diesen Verlusten zerbrechen. Doch die Allgemeinheit ist anscheinend glücklich: „Großartig, wir haben etwas Schlechtes über Israel zu sagen. Israel tötet Kinder.“
Da ist diese Allgemeinheit und hinzu kommen Teile der internationalen Medien und einige Israelis, die das ganze Geschehen einseitig betrachten. Diese Allgemeinheit sieht nur die armen Kinder, die getötet wurden. Und es sind wirklich bedauernswerte Kinder. Und welche Narrative entsteht? Dass Israel Kinder tötet und sich nicht darum schert. Solche Aggressoren. Solche Barbaren. Und all die tausend Dinge, die wir tun, um genau solche Situationen zu vermeiden, werden ignoriert.
Diese Allgemeinheit und verschiedene internationale politische Gremien sagen uns: „Ja, Ihr seid berechtigt, Euch zu verteidigen. Dieses Recht können wir Euch nicht nehmen. Das Recht auf Selbstverteidigung steht in der Charta der Vereinten Nationen. Also ja, Ihr müsst Euch schützen. Doch Ihr dürft niemandem Schaden zufügen, der ungefährlich ist.“ Solch eine Realität gibt es nicht. Auch nicht im Irak und in Afghanistan.
Nun, sie verlangen, dass Israel nicht unverhältnismäßig agiert, also nicht zu unbedacht.
Gut, dass Sie das erwähnt haben. Die Welt im Allgemeinen hat keine Ahnung, was Verhältnismäßigkeit bedeutet. Zuerst einmal geht es bei Verhältnismäßigkeit nicht um Zahlen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit bedeutet nach internationalem Recht, ob der militärische Nutzen den Kollateralschaden rechtfertigt. Und zweitens ist die Verhältnismäßigkeit –ebenfalls nach internationalem Recht– eine Sache der Betrachtung des Kommandeurs an der Front, denn nur der Kommandeur an der Front kann diesbezüglich ein Urteil fällen: Welchen Gewinn zieht er aus dem, was er beabsichtigt zu tun und welchen Kollateralschaden wird dies eventuell mit sich ziehen? Was Israel betrifft, so werden wir bereits zwei Minuten, nachdem wir geschossen haben, vom Generalsekretär der Vereinten Nationen beschuldigt, wir hätten unverhältnismäßig gehandelt. Auf welcher Grundlage äußert er diese Unterstellung? Wie kann er das wissen?
Es muss auch gesagt werden, dass dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht nur in Situationen besteht, in denen man weiß, dass man ungefährlichen Menschen Schaden zufügen wird. Unter anderen Umständen ist das Prinzip irrelevant. Es ist konzipiert für Situationen, in denen Nicht-Kombattanten Schaden nehmen und unter diesen Umständen muss der Kommandeur an der Front Nutzen und Schaden abwägen. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit wird nur in den Gegensätzen verständlich. Zwischen diesen Gegensätzen kann nur der Kommandeur an der Front abwägen. Und es ist sehr schwer, ihm hierfür eine Anleitung zu geben.
Ich möchte etwas von der Kritik an dem Warum und Wie der Durchführung der Operation „Gegossenes Blei“ vorbringen. Hierzu gehören auch Einwände von Kolumnisten dieser Zeitung. Es wird behauptet, dass wir, Israel, in das Gebiet der Palästinenser eingedrungen sind und dass sie sich gegen uns verteidigt haben. Das „Tötungsverhältnis“, das etwas bei 100 zu 1 lag, wurde als augenscheinlicher Beweis für die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch die IDF hervorgehoben. Es wurde argumentiert, dass die Hamas sich natürlich nicht in einen offenen, konventionellen Kampf mit uns –Armee gegen Armee, in Uniform– begab, weil sie sonst verloren hätte. Ihre einzige Chance bestand darin, aus Wohngebieten heraus zu kämpfen. Und es wurde –ebenfalls als Beweis für eine augenscheinliche israelische Überreaktion– behauptet, dass Israel zwischen 2005 und 2008 etwas mehr als zwei Dutzend Tote durch die Angriffe auf uns zu beklagen hatte, während die Verluste auf palästinensischer Seite in dieser Zeitspanne 1.250 betrugen.
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es absolut lächerlich ist –und ich habe kein anderes Wort hierfür– zu sagen, wir seien in ihr Gebiet vorgedrungen und deshalb hätten sie sich gegen uns verteidigt. Als ob wir aus heiterem Himmel hineingestürmt wären und sie sich hätten verteidigen müssen. In Wahrheit attackierten sie Israel pausenlos und Israel hat sich gegen ihre unablässigen Angriffe verteidigt. Wenn sie uns nicht ständig angegriffen hätten, wäre die IDF nicht in den Gazastreifen einmarschiert.
Schon. Doch im letzten Moment boten sie uns eine Art Feuerpause an.
Aber sie brechen ihre Feuerpausen immer wieder. Sie feuern auf uns und dann erklären sie eine Feuerpause, damit wir uns nicht gegen ihren nächsten Angriff schützen können, z. B. gegen ihren nächsten Angriff auf einen Schulbus. Das ist indiskutabel.
Selbstverteidigung bedeutet nicht nur das Raketenabwehrsystem „Iron Dome“. Selbstverteidigung setzt sich auch aus anderen Dingen zusammen. Die Methode „Iron Dome“ ist ein Fall von „Er feuerte auf mich, ich fing seine Rakete ab und deshalb gelang es ihm nicht, mir Schaden zuzufügen.“ Das ist großartig. Doch Selbstverteidigung bedeutet, dass ich ihn zum Schweigen bringen muss, dass ich ihn dazu bringen muss, mich das nächste Mal, wann auch immer, nicht mehr mit den Mitteln anzugreifen, mit denen er mich jetzt angreift.
Ich muss seine Schlagkraft vereiteln?
Ja. Nicht im weitesten Sinn dessen, was dies mit sich ziehen könnte, sondern auf eine Weise, die der Situation angemessen ist.
Betrachten Sie den Zweiten Libanonkrieg. Er begann mit der Entführung und Tötung von Soldaten. Bedeutet dies, dass es mir nur erlaubt ist, einige Hisbollah-Soldaten zu entführen oder zu töten? Nein. Ich muss sicherstellen, dass die Hisbollah weder jetzt, noch in naher Zukunft fähig ist, eine ähnliche Aktion durchzuführen. Selbstverteidigung weitet sich aus bis zum Ausgangsort des Angriffs, der gerade ausgeführt wurde, und von dem aus in Zukunft wieder angegriffen werden könnte. Wenn ich nicht handle, kann ich wieder angegriffen werden. Man will mich immer angreifen. Ich habe keinen Grund zu denken, dass es nur eine Kassam- oder eine Katyusharakete sein wird. Man wird mehr abfeuern.
Lassen Sie uns zurückkommen zur Operation „Gegossenes Blei“. Hier ging es gewiss nicht um unsere Invasion und deren Verteidigung. Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg den Armeen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion gegenüberstanden, hatten sie da das moralische Recht auf Selbstverteidigung, weil diese beiden Armeen in ihr Land einmarschiert waren? Die gesamte Invasion der Alliierten in Deutschland war eine Selbstverteidigung gegen Nazi-Deutschland. Die Behauptung, in Gaza hätten sie sich gegen unsere Invasion verteidigt, kann wirklich nicht ernst gemeint sein.
Nun zum Thema „Tötungsverhältnis“. Eigentlich geht es nicht um solch ein Zahlenverhältnis, denn wir sind hier nicht bei einem Sportwettkampf. Sie fragen sich: „Was tut er mir an?“ Und diese Frage wird nicht in Bezug auf den Schaden sondern in Bezug auf die Gefahr gestellt.
Betrachten Sie den kürzlich erfolgten Angriff auf den israelischen Schulbus. Nur ein Kind wurde getötet. „Nur eins.“ Eines zu viel. Doch wenn der Terrorist fünf Minuten früher geschossen hätte, wären Dutzende von Kindern getötet worden. Fakt ist, dass eine Gefahr besteht für das Leben von Kindern, die mit dem Schulbus auf den Straßen Israels fahren. Dass den meisten Kindern dieses Mal nichts zugestoßen ist, dass ein Kind getötet wurde und der Rest am Leben blieb, wird nicht in die Gleichung einbezogen.
Sagen wir, ich hätte das ultimative „Iron-Dome“-System und niemand würde durch palästinensische Angriffe getötet. Darf ich deswegen diejenigen, die auf mich schießen, nicht angreifen? Natürlich nicht. Sondern ich muss auch eine mögliche gefährliche Situation berücksichtigen, in der „Iron Dome“ nicht oder nicht richtig funktionieren könnte oder in der ich nicht genug „Iron Domes“ in Betrieb habe. Ich muss die Gefahrenquelle ausschalten und deshalb ist es mir erlaubt, anzugreifen.
Wenn es um die Zahlen der Toten auf der anderen Seite geht, so muss dies ohne irgendeinen Bezug zu den Zahlen der Toten auf unserer Seite untersucht werden. Inzwischen gibt die Hamas zu, dass sie sehr viele Verluste hatte unter denen, die direkte Verbindungen zur Hamas hatten. All diese „Polizisten“ (die bei IAF-Angriffen zu Beginn der Operation getötet wurden) waren keine Polizisten im westlichen Sinn des Wortes. Dies waren keine Menschen, die angestellt waren, um zum Beispiel Geschwindigkeitsübertretungen zu ahnden. Informationen, die bald nach der Operation „Gegossenes Blei“ veröffentlicht wurden, zeigten die Kampfeinheit der „Polizisten“ und das, was jeder beim Einmarsch der IDF zu tun hatte. Dies war eine Unterstützer-Truppe für die Hamas-Armee. Es war legitim, dass wir sie angegriffen haben.
Nun gab es 200 ungefährliche Menschen, die getötet wurden.
Nur 200?
Ja. 200, die keine Verbindung zur Hamas hatten. All die anderen hatten einen eindeutigen Bezug zur Hamas. Und jeder einzelne der Fälle, die die 200 Opfer zur Folge hatten, muss untersucht werden. Diese 200 sind natürlich 200 zu viel. Das bedeutet nicht, dass wir die Operation „Gegossenes Blei“ nicht auf die Art hätten ausführen sollen, wie wir sie ausgeführt haben. Doch es bedeutet, dass wir uns der Sache im Fall einer Operation „Gegossenes Blei II“ anders nähern müssten, so dass wir keine 200 Opfer hätten, sondern so wenig wie möglich.
Wir können aus jedem der Vorfälle, die den Tod von 200 Menschen zur Folge hatten, lernen. Am Rande gesagt, war die Ursache für den Tod einiger dieser Menschen ein Mangel an Professionalität, das heißt, in manchen Fällen tat ein Soldat nicht, was er hätte tun sollen. Es gibt offensichtlich Dinge, die korrigiert werden müssen.
Doch ich möchte betonen, dass es –selbst wenn ich den politischen Einfluss nachvollziehen kann– nicht gut für die Armee ist, wenn die Militärpolizei nach solch einer Operation wie „Gegossenes Blei“ Hunderte von Soldaten befragt. Dies wird keine Menschenleben retten. Man muss sich auf die Untersuchungen verlassen, die die Armee selbst durchführt.
Die Leute denken, die ideale Behandlung bestünde darin, die strengsten Polizeiermittler zu den Soldaten zu schicken und die härtesten Strafen zu verhängen. Sie können jede Strafe verhängen, die Sie wollen. Doch dies wird keine Probleme lösen, die aus einem Mangel an Professionalität oder aus Fehlern in der Beurteilung einer Situation oder aus Missverständnissen herrühren, die dazu führen, dass Menschen getötet werden. Auch einige unserer Soldaten wurden getötet, durch unser eigenes Feuer. Niemand von uns wollte unsere eigenen Soldaten töten. Doch es geschah. Sie wurden getötet. Es gibt also offenbar Dinge auf Professionalitätsebene, die korrigiert werden müssen. Eine Bestrafung von Soldaten nützt hier gar nichts.
Interne Armeeuntersuchungen sind das richtige Forum, um diese Themen zu diskutieren, zumindest erst einmal. Wenn es nötig wird, gibt es einen Militärankläger und die Sache wird zu einem Rechtsfall.
Es gab einen Fall an einem Militärgericht. Es ging um zwei Givati-Soldaten aus einer Pioniereinheit, die ein palästinensisches Kind nahmen und ihm sagten, es solle eine verdächtige Tasche öffnen. Ich habe alle Gerichtsunterlagen über den Fall gelesen. Was so außergewöhnlich an ihm ist, ist die Tatsache, dass die Soldaten direkt neben dem Kind standen. Wenn das Kind eine Explosion ausgelöst hätte, wären auch die Soldaten getötet worden. Als das Kind die Tasche nicht öffnen konnte, schossen sie auf sie. Noch einmal: Wenn die Tasche explodiert wäre, wären auch die Soldaten getötet worden. Und dies waren Soldaten, deren militärische Expertise im Umgang mit Sprengstoff bestand. Dies war ein Fehler von Soldaten, die –wie man mir sagte– drei Tage lang nicht geschlafen hatten. Unprofessionelle Arbeit.
Natürlich war dies unentschuldbar. Sie wurden zu Recht angeklagt und verurteilt, weil sie das Kind auf diese Art und Weise benutzt hatten. Doch das Hauptproblem besteht darin, dass sie unprofessionell gehandelt hatten. Das muss korrigiert werden.
Ich möchte zu den Hamas-Polizisten zurückkehren, die am ersten Tag der Operation „Gegossenes Blei“ getötet wurden. An diesem Tag beteiligten sie sich nicht an Terroraktivitäten. Sie waren bei einer Graduierungsfeier. Und trotzdem sagen Sie, es sei moralisch vertretbar, sie zu töten?
Wenn Sie den Kampfplatz betreten, müssen Sie nicht nur daran denken, wer gerade auf Sie schießt, sondern wer in Zukunft auf Sie schießen wird. Das ist das Grundprinzip der Gesetze des Krieges. In diesem Fall hatten diese Truppen mit Sicherheit das Potential, der IDF zu schaden. Gaza ist ein kleiner Fleck. Hier ist die Hamas. Und hier waren die Truppen, die die Hamas unterstützten. Deshalb war es klar, dass sie sich am nächsten Tag mit der Hamas zusammenschließen und gegen die IDF vorgehen würden.
Was ist mit dem Argument, dass die Hamas der IDF in einem konventionellen Krieg unterlegen wäre und deshalb ihre einzige Chance darin besteht, aus Wohngebieten heraus zu operieren?
Hören Sie, wir leben nicht im Mittelalter. Dies sind keine Ritterkämpfe, die unsportlich werden, wenn einer eine große Lanze und der andere nur einen kleinen Dolch hat. Bei uns geht es um die Verpflichtung, einen effektiven Schutz für unsere Bürger zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, dass Sie militärisch schwach sind, befreit Sie nicht von den Maßnahmen, die ich ausführe, um meine Bürger zu schützen.
Wenn Sie Schritte in Richtung Frieden gehen, werden wir nicht aufeinander schießen. Also werde ich Ihnen auf diplomatischer Ebene mitteilen, dass ich Frieden möchte. Es gab sogar eine Abkopplung. Ich habe Ihr gesamtes Gebiet verlassen. Was wollen Sie von mir? Israel hat das Gebiet vollständig verlassen. Es war nicht leicht. Ein Teil der Öffentlichkeit fühlte großen Schmerz. Mich persönlich schmerzte es nicht, Gebiete, die wir 1967 erobert hatten, zu verlassen. Doch zu sehen, wie wir nach 30 Jahren die Häuser, die wir gebaut hatten, zerstören, und Kinder, die dort geboren waren, aus ihrer Heimat reißen mussten, ließ mich mit diesen Kindern mitleiden.
Wir sind also gegangen. Und was haben wir bekommen? Die Hamas-Charter, die sagt, dass Sie Israel zerstören müssen. Gilad Shalit wurde entführt und Sie erlauben dem Roten Kreuz nicht, ihn zu besuchen.
Israel wird sich in Anbetracht dessen, wie es angegriffen wird, verteidigen. Wenn der Feind keine Panzer hat, dann wird es kein Kampf von Panzertruppen gegen Panzertruppen sein. Doch es wird ein Kampf sein und ich werde mich gegen alles verteidigen, das Sie für den Angriff gegen mich benutzen. Die Tatsache, dass Sie keine Panzer und Flugzeuge haben, rechtfertigt nicht den Terror, den Sie ausüben. Dafür gibt es keine moralische Rechtfertigung. Moralische Rechtfertigung besteht nicht in der Funktion der Mittel, die Sie haben. Sie besteht in der Einschränkung der von Ihnen verwendeten Mittel.
Und doch gibt es eine Menge Verständnis für die Auffassung, die vor einigen Jahren unter anderem von Ted Turner geäußert wurde, nach der die Palästinenser außer ihren Körpern keine Waffen haben. („Die Palästinenser kämpfen mit menschlichen Selbstmordattentätern, das ist alles, was sie haben“, sagte der CNN-Begründer im Jahr 2002.)
Nun, sie hätten Frieden schließen können. Wann begannen die Selbstmordattentäter? Nachdem Ehud Barak im Jahr 2000 Yassir Arafat und Bill Clinton seine Angebote vorgelegt und Arafat sie zurückgewiesen hatte. Wenn Verhandlungen fehlschlagen, bedeutet das nicht, dass man sagt: „Es ist vorbei, nun müssen wir anfangen zu schießen.“ Wenn Verhandlungen fehlschlagen, bereitet man sich für die nächste Verhandlungsrunde besser vor. Es ist in Ordnung, dass Arafat an einem bestimmten Punkt „nein“ sagte. So funktionieren Verhandlungen. Man kann immer wieder „nein“ sagen, doch man bleibt am Verhandeln. Doch anstatt weiter zu verhandeln, kamen die Selbstmordattentäter. Warum gibt es dafür Verständnis?
Die Menschen haben so lange Verständnis, bis es sie selbst trifft. Wenn sie selbst betroffen sind, ändern sie sich. All diese Länder –Großbritannien, Spanien, Schweden– ändern sich in dem Moment, da sie selbst dem Terrorismus ins Gesicht blicken.
Aber sie ändern sich doch gar nicht. In Großbritannien zum Beispiel hat man nach den Selbstmordanschlägen in London im Jahr 2005 Tony Blair verantwortlich gemacht. Man sagte, Großbritannien wurde angegriffen, weil er Israel und George Bush im Irak zu sehr unterstützt hatte…
Doch in der Praxis gibt es in Großbritannien nun auch das Terrorismus-Gesetz, das alle möglichen Mittel zur Bekämpfung von Terrorismus erlaubt. Großbritannien ist uns hier am ähnlichsten, weil es viele Jahre mit irischem Terror leben musste.
Aber ich sehe trotzdem kein Verständnis für Israel.
Wenn ich mit Repräsentanten ausländischer Armeen zu tun habe, erlebe ich keinen Widerstand gegen unsere Prinzipien, die ich Ihnen erläutert habe. Keinen Widerstand, höchstens vielleicht bei den Holländern. Die Holländer denken von sich nicht als Armee sondern mehr als Truppe, die den Frieden überwacht.
Und doch ist uns die internationale öffentliche Meinung feindlich gesinnt, was wiederum die politische Meinung beeinflusst, die sich auf die internationale Atmosphäre auswirkt und schließlich dazu führen kann, dass Israels Fähigkeit, sich selbst zu schützen, eingeschränkt wird…
Lassen Sie uns die Vorstellung von öffentlicher Meinung, Regierungen und internationaler Atmosphäre analysieren. Regierungen folgen ihren eigenen Interessen. Wenn sie daran interessiert sind, uns zu kritisieren, tun sie das. Wenn sie daran interessiert sind, uns zu verteidigen, tun sie das.
Als der Goldstone-Bericht veröffentlicht wurde, sagte ich sofort, wir hätten vom Standpunkt der Umsetzung des Völkerrechts nichts zu fürchten, denn wir sind gemäßigter als der Rest der Welt. Wenn dies der Maßstab wäre, wäre es uns nicht möglich, uns selbst zu verteidigen. Doch auch die USA und die NATO oder wer auch immer im Irak oder in Afghanistan wären unter diesem Maßstab nicht fähig dazu. Deshalb würden die USA und die NATO nicht zulassen, dass der Bericht praktische Auswirkungen haben würde. Nun, da Goldstone seinen Artikel geschrieben hat, in dem er seine Meinung etwas revidiert hat, ist das umso mehr der Fall.
Hätte Israel all die Untersuchungen durchgeführt, wenn Goldstone nicht gewesen wäre?
Ja. Und schauen Sie, wie wenige Anklagen es am Ende gab. Es wäre ohne Goldstone dasselbe gewesen.
Sie haben also diese Regierungen, deren Handeln ihre Interessen widerspiegeln. Sie haben den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen – entschuldigen Sie, aber wenn die Menschen denken, dabei ginge es nicht um Politik, dann schauen Sie sich nur diese Organisation an, deren Vorsitz Libyen inne hatte und die 80% ihrer Entscheidungen gegen uns richtet. Inzwischen redet jeder anders über Libyen. Doch das Libyen, das nun alle attackieren, ist dasselbe Libyen, das die ganze Zeit über gegen uns agiert hat.
Und Sie haben all das Gerede über die Besatzung, als ob wir das einzige Volk der Welt in solch einer Situation wären. Die Situation der Besatzung ist sehr problematisch. Doch China ist bereits länger in Tibet. Auch die frühere Sowjetunion ist bereits länger auf diesen Inseln nördlich von Japan. Aber die Welt macht deswegen kein Theater. Es gibt nirgends Demonstrationen, weil diese japanischen Inseln unter russischer Herrschaft sind. China hat sich an Tibet vergriffen, hat Mönche und Nonnen getötet und die Klöster zerstört. Doch niemanden regt das auf.
Es ist alles Politik. Sich gegen uns zu äußern, ist Sache politischer Interessen. Übrigens, wo wir schon dabei sind, Kritik an uns ist nicht zwangsläufig Antisemitismus. Sie kann anderen Aspekten, zum Beispiel den Aspekten Öl, Saudi-Arabien, Libyen, Irak und was weiß ich nicht alles, dienlich sein. Allem möglichen kann die Kritik an uns dienlich sein.
Was die internationalen Medien, die zum Großteil gegen uns sind, angeht, so gibt es hierfür viele Erklärungen. Sie müssen das verstehen und ins richtige Verhältnis setzen. Wie wichtig ist es, was „The Guardian“ sagt? Jetzt, da England eine konservative Regierung hat, wer schert sich darum, was „The Guardian“ sagt? Beeinflusst „The Guardian“ den Premierminister? Das ist schwer zu glauben. Nun ja, kurz vor den Wahlen war das vielleicht noch anders. Die Öffentlichkeit mag, am Rande gesagt, durch die Zeitungen beeinflusst werden, doch die Bedeutung von Zeitungen hinsichtlich der Beeinflussung von Politikern ist begrenzt.
Warum wird das, was die Zeitungen sagen, als so wichtig betrachtet? Weil sie die öffentliche Meinung beeinflussen? Und warum ist die öffentliche Meinung wichtig? Wir haben keinen unverfälschten Zugang zur wirklichen Meinung der Öffentlichkeit. Wir wissen nicht genau, was die Öffentlichkeit denkt. Und Sie müssen mir beweisen, dass das wichtig ist. Der Einfluss der Öffentlichkeit auf Politiker ist begrenzt.
Doch Tatsache ist, dass sich Israel zunehmend isoliert fühlt und es gibt potentielle praktische Auswirkungen.
Wirklich? Welches Potential für praktische Auswirkungen gibt es? Wir Juden –und ich verstehe das, doch wir müssen damit aufhören– reagieren auf jeden Angriff auf uns sehr sensibel. Nicht nur, wenn es dabei um Antisemitismus oder Antiisraelismus geht. Selbst wenn uns jemand wegen dieser oder jener Regierungspolitik angreift, gehen die Lichter an: „Sie greifen uns an.“ Es erscheint uns furchtbar schrecklich. Ich verstehe dieses Gefühl. Unsere Geschichte ist nicht die von „Jedermanns Liebling“. Eher das Gegenteil. Doch eine gewisse Perspektive ist erforderlich. Offensichtlich müssen wir an allen Fronten aktiv sein. Die internationalen Medien sind eine Front. Also haben wir den Sprecher der IDF. Wir haben das Ministerium für Öffentlichkeitsarbeit. Jeder muss tun, was er kann, um die Lage zu verbessern. Doch es ist nicht so dermaßen wichtig.
Schauen Sie sich an, was nach der Operation „Gegossenes Blei“ geschah. Europäische Staatsoberhäupter und der Präsident der Vereinigten Staaten kamen hierher. Das war ein Zeichen von Solidarität mit Israel. Deshalb glaube ich nicht, dass wir in Gefahr sind, ein Pariastaat zu werden wie Südafrika.
Es gibt praktische Konsequenzen: Im Herbst diesen Jahres könnten die Palästinenser eine Resolution in die Generalversammlung der Vereinten Nationen einbringen, mit deren Hilfe sie die Eigenstaatlichkeit anstreben. Und über 100, 120, 130 oder was weiß ich wie viele Staaten, werden diese Resolution befürworten, wahrscheinlich unterstützt durch eine „Vereint-für-den-Frieden“-Resolution, die das Potential für nicht-bindende Sanktionen und Boykotte in sich trägt.
Zunächst einmal: Ich weiß nicht, welche praktischen Folgen dies haben könnte. Zweitens: Wir wissen, dass wir in solchen Situationen manchmal nur die Vereinigten Staaten und Mikronesien auf unserer Seite haben, doch wir werden auch das überleben. Und drittens und am wichtigsten: Wir müssen uns mit der Frage der palästinensischen Eigenstaatlichkeit beschäftigen, und zwar mit mehr Eifer als wir es bislang getan haben.
Ich muss nicht auf eine Bar-Ilan-Rede von Premierminister Netanyahu warten oder auf alle möglichen interessanten Beobachtungen des früheren Premierministers Sharon, um zu erkennen, dass ein palästinensischer Staat essentiell ist. Bereits in seiner Unabhängigkeitserklärung erkannte der Staat Israel einen palästinensischen Staat an. Denn dort heißt es: „Die (…) Anerkennung der staatlichen Existenzberechtigung des jüdischen Volkes (…) ist unwiderruflich. Gleich allen anderen Völkern, ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen.“ Gleich allen anderen Völkern! Die zionistische Mehrheitsmeinung unterstützte die Teilungserklärung, die sowohl einen Staat für die Juden als auch einen Staat für die Palästinenser vorsah. Von Anfang an haben wir einen palästinensischen Staat anerkannt.
Das ist also nichts Neues. Damit gewähren wir niemandem irgendeine Gunst. Die Frage ist, unter welchen Umständen wird ein palästinensischer Staat gegründet werden. Ich muss nicht zur Gründung von etwas beitragen, das mich vernichten will. Doch dass die Palästinenser das Recht haben, ein Volk in ihrem eigenen Staat zu sein, in ihrem Gebiet irgendwo zwischen dem Jordan und dem Meer, das ist selbstverständlich.
Ich möchte auf die Einwände zurückkommen, die bezüglich der IDF-Handlungen in Gaza geäußert wurden. Sie merkten an, dass wir uns vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen haben, doch der Einwand ist, dass wir Gaza nicht befreit haben. Wir verhindern noch immer, dass bestimmte Produkte nach Gaza kommen. Wir kontrollieren immer noch die Grenzen. Wir haben ihnen nicht die vollständige Kontrolle übergeben.
Da sie sich unerbittlich bewaffnen –durch Schiffslieferungen mit Waffen und durch die Tunnel– erfordert meine Selbstverteidigung diese Kontrollen. Ich möchte mich nicht auf „Iron Dome“ verlassen, um die Raketen abzuschießen. Ich möchte, dass die Raketen gar nicht erst –insbesondere aus dem Iran– nach Gaza kommen. Deshalb erhalte ich die Seeblockade aufrecht –und diese ist gemäß aller Kriegsgesetze auf See unbestritten rechtmäßig–, um zu verhindern, dass Waffen auf dem Seeweg nach Gaza kommen. Das gleiche gilt für die Übergänge auf dem Festland. Wir erlauben keinen freien Zugang, weil uns dies in Gefahr bringt.
Wir haben an den Grenzen eine „effektive Kontrolle“ über das, was hinein- und was hinausgeht. Doch innerhalb des Gazastreifens haben wir keine effektive Kontrolle. Die Hamas ist die De-facto-Regierung in Gaza. Die Hamas hat die effektive Kontrolle. Und deshalb ist die Hamas verantwortlich für die Tatsache, dass sich Terroristen unter ungefährliche Nachbarn mischen. Die Hamas trägt hierfür die Verantwortung.
Abgesehen davon, achten wir darauf, dass es in Bezug auf Lebensmittel, Medizin und andere Bedürfnisse zu keiner humanitären Krise in Gaza kommt.
Ist das internationale Kriegsrecht geeignet für diese Arten von Situationen, die wir diskutieren, oder braucht es Änderungen?
Das Völkerrecht wurde für andere Zwecke geschaffen. Es wurde unter der Voraussetzung geschaffen, dass Krieg eine Sache von Armee gegen Armee ist. Truppen in Uniform. Zivilisten außen vor. Unter solchen Umständen ist das, was international akzeptiert wird, auch für uns akzeptabel. Im Großen und Ganzen wird das von allen respektiert. Dies sind Gesetze, die auf die klassische Kriegsführung angewandt werden.
Doch wenn wir uns jetzt in einem Krieg nicht mit Staaten, sondern mit Organisationen befinden, fallen all diese Thesen in sich zusammen. Warum unterzeichnen Staaten internationale Verträge? Aus Gründen politischer Vernunft, nicht auf Grund hoher Moral: Wenn ich seinen Zivilisten nicht schade, wird er meinen auch nicht schaden, und wir haben beide einen Nutzen davon. Wenn ich seine Gefangenen nicht töte, wird er meine auch nicht töten. Wenn ich keine chemischen Waffen auf ihn abschieße, wird er auch keine auf mich abschießen. Es beruht alles auf Gegenseitigkeit.
Doch in unserer Situation gibt es keine Gegenseitigkeit. Israel versucht immer, den Kollateralschaden, den es seinen Feinden zufügt, gering zu halten. Und seine Feinde versuchen immer, den Schaden in die Höhe zu treiben. Nicht den Kollateralschaden. Sie zielen absichtlich auf die Zivilisten.
Dies bringt uns an den Anfang des Interviews zurück: Es bedeutet nicht, dass Israel nun so handelt wie seine Feinde. Doch Sie sehen jetzt, dass Israel gemäß seiner Interessen und Standards handeln muss und nicht gemäß irgendeiner Ansicht, die unter Israelis und ihren Feinden verbreitet ist. Diese gesamte Vorstellung von Gegenseitigkeit ist verschwunden.
Und dann besteht noch die Frage der praktischen Anwendungen, die die Kriegsregeln untermauern und die es erfordern, zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten zu unterscheiden. Es war einst ganz einfach: Soldaten tragen Uniform, auf denen US Army, Marines oder IDF geschrieben steht. Waffen werden offen getragen. Entweder sind Sie in Uniform oder nicht. Das ist sehr primitiv. Aber es funktioniert. Es ist klar, wer die Soldaten sind und wer nicht.
Nun ist es ein Mischmasch. Nun haben Sie Zivilisten mit guten Absichten und solche mit schlechten Absichten. Niemand kann Ihnen sagen, Sie müssten die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten wahren. Früher haben wir diese Unterscheidung perfekt gewahrt, weil es einfach war, den Unterschied zu erkennen. Doch inzwischen ist das nicht mehr so.
Ich sage nicht, wir müssen die Kriegsregeln ändern. Doch wir müssen sie erweitern. Man sollte nicht alles streichen. Doch man muss verstehen, dass man in diesen neuen Kriegen etwas Neues braucht. Etwas, das auf der gleichen moralischen Grundlage steht: „Die Katastrophen des Krieges zu verringern“, wie es jemand in einem internationalen Dokument vor etwa zweihundert Jahren ausgedrückt hat.
Wie verringert man die Katastrophen des Krieges? Zunächst einmal natürlich dadurch, indem man gar keinen Krieg führt, wenn das möglich ist. Doch wenn der Krieg ausbricht, lassen Sie uns fragen, wie wir diese Prinzipien realisieren, wie wir uns selbst schützen und die ungefährlichen Nachbarn warnen. Die Katastrophen des Krieges verringern. Wir brauchen Grundsätze im Geiste des Völkerrechts, die uns sagen, was wir in bestimmten Situationen, die keine klassischen Kriegssituationen sind, tun sollen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sich diese bestimmten Situationen immer wieder ändern können. Wir benötigen ein Konzept, das in jeder Situation angemessen ist.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts kämpften wir gegen eine zivile Organisation, die Selbstmordattentäter aus einer politischen Einheit –der palästinensischen Autonomiebehörde–, jedoch nicht aus einem Staat entsandte.
Dann hatten wir den Zweiten Libanonkrieg mit der Hisbollah, einer halbmilitärischen Organisation, die von den iranischen und syrischen Armeen unterstützt wird und auf dem Territorium des Staates Libanon sitzt. Einige ihrer Handlungen waren terroristischer Art und andere waren Guerillaaktivitäten gegen Soldaten.
Dann kam die Operation „Gegossenes Blei“. Wieder ging es nicht gegen einen Staat –die Palästinensische Autonomiebehörde ist verantwortlich, doch sie ist kein Staat–, sondern gegen eine halbmilitärische Organisation, die ebenfalls vom Iran und von Syrien unterstützt wird und die eine De-facto-Regierung unterhält. In den beiden Fällen zuvor, war letzteres nicht der Fall.
Wenn es nun eventuell einen Dritten Libanonkrieg geben wird, dann sitzt die Hisbollah in der libanesischen Regierung. Sie ist nicht länger eine Milizarmee im Süden des Libanon. Sie ist eine Partei in der libanesischen Regierung. Wenn sie also auf uns schießt, benötigen wir einen anderen Grundsatz für das, was zu tun ist. In der libanesischen Regierung sitzt eine Partei, die eine Milizarmee hat, die auf Sie schießt. Es ist nicht die libanesische Armee, die Sie angreift, aber Sie werden von einer Truppe attackiert, die in der Regierung sitzt.
Die entsprechenden Grundsätze müssen dieselbe Seele beinhalten: Wir sind ein demokratischer Staat, wir müssen unsere Bürger schützen, wir respektieren die Würde des Menschen, wir müssen den Kollateralschaden mit allen Mitteln so gering wie möglich halten….
Und es gibt Leute, die an solchen Grundsätzen arbeiten?
Der frühere Chef des militärischen Geheimdienstes, Amos Yadlin, und ich schrieben in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts ein Einsatzkonzept, das die gezielten Tötungen zum Thema hatte. Jede Armee, die kämpft, benötigt ihre Grundsätze.
Gibt es Leute, die Grundsätze zu anderen Themen schreiben?
Es gibt Leute, die verschiedene Aufzeichnungen vergleichen. Und jede internationale Situation ist anders. Doch wenn ich die Art und Weise betrachte, in der sich demokratische Staaten mit den einzelnen Situationen auseinandersetzen, dann ist diese ziemlich ähnlich. Es gibt also eine Art von Prozess. Es gibt Verträge, die die Welt unterschrieben hat: Genfer Verträge, Hague-Verträge, und so weiter. Und es gibt das übliche Völkerrecht. Die Welt ist voll von undemokratischen Staaten, die mich in diesem Fall nicht interessieren. Doch es scheint, dass die demokratische Welt…
…Grundsätzen folgt, die sich sehr ähnlich sind?
Ja. Ich war vor kurzem in Deutschland auf einer Konferenz, bei der es um gezielte Tötungen ging. Es war eine Tagung für Offiziere. Einer der Redner war ein deutscher Viersterne-General. Einer war vom Internationalen Roten Kreuz. Und ich war da, um die israelische Realität darzustellen. Ich präsentierte die Vorgehensweise bei gezielten Tötungen, die Yadlin und ich und andere zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelt hatten. Das Publikum akzeptierte sie. Der Mann vom Roten Kreuz widersprach nicht.
In den folgenden Arbeitsgruppen sagte der deutsche General, er verstehe die Israelis. Sie seien in einer anderen Situation als die Deutschen, die im Irak und in Afghanistan kämpfen. Wenn die Deutschen gezwungen wären, unter ähnlichen Umständen wie Israel zu operieren, würden sie dasselbe tun. Und vergessen Sie nicht, dass das heutige Deutschland super demokratisch ist.
Ich höre die gleichen Worte überall in demokratischen Staaten. Ich war in etwa 15 dieser Staaten, von Indien bis Kanada. Es gibt niemanden, der sagt: Ich muss meine Zivilisten nicht schützen und ich muss den Schaden für die andere Seite nicht so gering wie möglich halten. Es gibt niemanden, der sagt: Ich darf der anderen Seite auf keinen Fall Schaden zufügen und ich darf den Schaden an meinen eigenen Bürgern nicht so gering wie möglich halten. Niemand sagt das. Niemand. Nirgends.
Gibt es Dinge, die Israel getan hat, die die IDF getan hat, die Sie bekümmern?
Wir müssen auf jeden Fall unsere Professionalität verbessern – nicht nur, wenn es um das Bedienen von Waffen geht, sondern auch, wenn es um das Verständnis der Prinzipien, die ich genannt habe, geht.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Während der Operation „Gegossenes Blei“ hörte ich jemanden sagen, wir müssten der anderen Seite verständlich machen, dass „ba’al habayit hishtagea“, das heißt, dass der Herr des Hauses (Israel) durchgedreht ist. So etwas ist vollkommen inakzeptabel. Tatsächlich müssen wir die andere Seite dazu bringen, das genaue Gegenteil wahrzunehmen, nämlich, dass Israel alles andere als durchgedreht ist. Dass Israel nur deshalb offensiv handelt, weil es keine andere Chance hat. Dass Israel nur deshalb auf Menschen schießt, weil es muss. Dass der Schaden, den ungefährliche Menschen nehmen, Kollateralschaden ist und dass Israel größte Anstrengungen unternimmt, diese Menschen nicht zu treffen.
Und wenn irgendein Minister oder jemand anderes etwas dermaßen Inakzeptables sagt, weil er unverantwortlich ist oder weil es ihm an Verständnis fehlt, dann heißt das nicht, dass unsere Soldaten so denken sollten. Ihre Kommandeure müssen ihnen das erklären. Die Soldaten müssen das verstehen.
Wenn der Grad an Verständnis für die Schlüsselprinzipien, die ich Ihnen genannt habe, höher gewesen wäre, hätte es womöglich weniger als 200 Tote unter den ungefährlichen Menschen der Operation „Gegossenes Blei“ gegeben. Wir erklären nicht genug und wir verstehen nicht genug. Menschen agieren besser, wenn sie verstehen, was sie tun.
Was denken Sie über die Berichterstattung der israelischen Medien über die Operation „Gegossenes Blei“ und über die einheimischen Nichtregierungsorganisationen einschließlich der Eile, die später revidierten Behauptungen zu veröffentlichen, die bei einer Diskussion im März 2009 in der Rabin Military Academy aufkamen und nach denen Soldaten absichtlich auf Zivilisten gezielt haben sollen?
Die einheimischen Medien machen sich der Sensationslust und des Mangels an Verantwortung schuldig. (…)
Ich las die Protokolle der Diskussion in der Rabin Academy. Ich las auch alles, was die Soldaten von „Breaking the Silence“ sagten. Ich las die gesamte Dokumentation. Diese gesamte Dokumentation tauchte erst auf, nachdem die internationalen Medien zu mir kamen und um eine Reaktion auf die angebliche Zusammenfassung, die einige Tage früher veröffentlicht wurde, baten. Auf Grund dieser Zusammenfassung hätte man denken können, die Soldaten seien einer gewaltigen Welle, einem Tsunami an Kriegsverbrechen ausgesetzt gewesen. Das war etwas, was schwer zu glauben war. Und tatsächlich war es nicht der Fall. In diesem Bericht war alles verzerrt dargestellt. Dies ist eine politische Organisation mit einer politischen Agenda, die zwar legitim ist, jedoch meines Erachtens Methoden benutzt, die bezogen auf Medienethik und die Ethik der Nichtregierungsorganisation, nicht zu rechtfertigen sind.
Was B’Tselem und internationale Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International angeht, so haben diese alle eine Doppelmoral. Für sie gibt es die arme, bedauernswerte Seite und die starke Seite. Zeugenberichte, die von der bedauernswerten Seite kommen, werden für bare Münze genommen. Und alles, was von der starken Seite kommt, wird in den Schmutz gezogen: „Es ist ein Sprecher, es ist Schönfärberei.“ Tiefgreifendes Misstrauen für die eine Seite und eine praktisch unbegrenzte Bereitschaft, alles zu akzeptieren, was von der anderen Seite kommt. Das ist Doppelmoral und stellt ein vollkommen verzerrtes Bild dar. Ich verlasse mich nicht darauf.
Andererseits spielt es keine Rolle, von welcher Seite die Anschuldigungen kommen. Die IDF muss der Sache auf jeden Fall nachgehen. Die IDF muss jeder Geschichte von B’Tselem oder Machsom Watch oder Amnesty International nachgehen. Nicht, weil ich mich darauf verlasse, dass die Geschichte wahr ist. Das tue ich nicht. Man muss sich nicht auf sie verlassen, um seine Arbeit richtig zu machen. Man muss jeder Geschichte nachgehen. In jeder Geschichte steckt ein klitzekleiner, winziger Anteil, der einen Nährboden hat. Also schau nach, prüfe, finde es heraus….
Jerusalem Post, 21.04.2011
Übersetzung: Daniela Marcus
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