Von Daniel Schatz
Der diesjährige „Freedom in the World“-Bericht des Forschungsinstituts „Freedom House“ weist bereits zum fünften Jahr in Folge einen alarmierenden Rückgang von Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte weltweit. Lediglich 60% der existierenden 194 Länder und 14 Territorien können als Demokratien eingestuft werden, die die grundlegenden Freiheits- und Menschenrechte achten.
Während die universellen Menschenrechte in den Diktaturen in Nordkorea, dem Iran, Syrien, Libyen und China mit Füßen getreten werden, dominieren den außenpolitischen Diskurs in Europa vor allem zwei Themen: die israelische Blockade des von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifens und der von den USA geführte Krieg gegen den internationalen Terrorismus.
Die Gaza-Flottillen erhalten in Europa massive mediale Aufmerksamkeit – und dies, obwohl die Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen geöffnet ist und der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Kampagne als „eine unnötige Provokation“ bezeichnet hat.
Es segeln keine Flottillen in Richtung Damaskus und Teheran, obwohl Amnesty International von 1.400 Toten während des syrischen Aufstands gegen das Assad-Regime berichtet, hinzu kommen noch Berichte von Vergewaltigung und der Folter von Kindern. In der Zwischenzeit hat die Islamische Republik Iran in diesem Jahr bereits 175 Menschen durch öffentliches Hängen oder Steinigung hingerichtet, einschließlich Frauen, Kinder und Homosexuelle.
Nur selten werden in der europäischen Debatte Rufe nach einem Boykott Chinas laut, obwohl das Regime in Bejing Tibet besetzt hält und für zwei Drittel der weltweiten Hinrichtungen verantwortlich ist. Niemand plant ein „Fly-in“ zum Atatürk International Airport, ungeachtet der illegalen Besetzung Nordzyperns durch die Türkei und der systematischen Verletzung von Menschenrechten in den Kurdengebieten.
Nur sehr wenige europäische Schriftsteller und Kulturschaffende verdammen das Castro-Regime, obwohl Kuba in diesem Jahr 18 Dissidenten ins Exil getrieben hat.
Die Einseitigkeit des außenpolitischen Diskurses in Europa ist im Fall Nordkoreas besonders offensichtlich, laut Amnesty International eines der Regime, die weltweit die Menschenrechte am wenigsten achten. Ein kürzlich veröffentlichter UN-Bericht zeigte, dass 3,5 Millionen der 24 Millionen Einwohner in Folge der Politik des autoritären Regimes unter akuter Unterernährung leiden.
Pjöngjang hat im ganzen Land ein System von Strafgefangenenlagern errichtet, in denen 200.000 Dissidenten systematischer Folter und Hunger ausgesetzt sind. Zwangsarbeit garantiert, dass niemand von den Gefangengen körperlich fit genug ist zu fliehen. Fluchtversuche werden mit Folter und Hinrichtung bestraft.
Es gibt nur wenige europäische Kampagnen zur Unterstützung des nordkoreanischen Volkes. Dieses selektive Engagement kann mit der Tatsache erklärt werden, dass Länder wie Nordkorea nicht für ein großes Medienecho oder politische Debatten sorgen. Entscheidender ist aber, dass die Probleme nicht in den dominanten Diskurs der europäischen Außenpolitik passen, der im Namen einer verzerrten politischen Agenda bei moralischen Prinzipien unterschiedlich Maß anlegt.
Wäre die Gaza-Flottille durch altruistischen Humanismus motiviert, sähen wir auch mit Medizin und Hilfsgütern beladene Boote in Richtung Benghazi segeln. Schiffe mit oppositioneller Literatur und Laptops hätten für die demokratische Opposition in Havanna und Teheran Wunder bewirken können. Eine universelle Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten hätte ein öffentliches europäisches Engagement gegen den massenhaften Hunger und die Folter in Nordkorea mit sich gebracht.
Wenn selbsternannte europäische Menschenrechts- und Friedensaktivisten in Irland, Schweden, Belgien, Norwegen, der Schweiz und Spanien zum nächsten Mal Erklärungen im Namen der Menschlichkeit abgeben und dabei die einzige Demokratie im Nahen Osten verurteilen, sollte man lieber genauer schauen, was dahinter steckt. Besonders, wenn diese Statements durch eine fragwürdige Verpflichtung für die Voranbringung von Demokratie und Menschenrechten in alle Länder der Erde motiviert sind.
Der Autor ist Politologe und Visiting Fellow am Europe Center der der Stanford University.
Die auf dem Blog veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.
Christian Sternberg // Jul 8, 2011 at 12:44
Diesen Beitrag würde ich gerne als politisches Feuilleton auf D-Radio hören.
AbbaKover // Jul 9, 2011 at 13:51
Da gibt es nur ein Problem: die im Text erwähnten Schandtaten können nicht „dem Juden unter den Staaten“ (Poliakov) in die Schuhe geschoben werden, also lässt man sie links liegen, oder, wenn überhaupt, kritisiert sie halbherzig.
Der, euphemisch gesagt, „Nachdruck“ mit dem die israelkritischen Zeitgenossen ihre vermeintlich „legitime Israelkritik“ praktizieren, entspringt nicht der Solidarität oder dem Mitleid mit den Palästinensern – im Gegenteil, die sind ihnen ein paar Kilometer weiter im Libanon schon wieder schnuppe. Er entspringt auch nicht einem leidenschaftlichen Hang, Unrecht anzuprangern. Das Movens der obsessiven Beschäftigng mit Israel entspringt dem Hass auf die jüdische Souveränität an sich; einem Hass, der äußerst produktiv ist und bspw. aus einer demokratischen Gesellschaft einen Apartheidstaat macht, der zu boykottieren sei. Der jeden Agriff auf die verhasste jüdische Souveränität zur humanitären Intervention umlügt, um gegen Israel vom Leder zu ziehen, aber gleichzeitig über Souveränitätsverletzungen seitens Israels klagt. (Diese Doppelstandards sind ein uraltes Merkmal des Antisemitismus.)
Das ihnen der jüdische Staat als im Kern Böse erscheint, beweist der Glaube, den man den absurdesten Gerüchten – von Organraub an Palästinensern bis zu der Lüge, man infiziere deren Kinder gezielt mit AIDS – schenkt: es gibt keinen (auf alten antisemitischen Vorstellungen aufbauenden) Schwachsinn, den der propalästinensische Mob nicht glauben würde.
Und das führt dann zum nächsten Schritt: dem iranischen Menschenrecht auf Atombewaffnung gegen eine konstruierte israelische Bedrohung. Den meistens werden Staaten wie der Iran, Syrien oder Venezuela nicht nur nicht kritisiert – sie werden unterstützt. Vor allem von dem Mob aus Linken und Islamisten, die dieser Tage nach Israel einschippern oder -fliegen wollen.
AbbaKover // Jul 9, 2011 at 13:52
bei „Kover“ fehlt natürlich das „n“.