Von Lilac Sigan
In der Welt der Literatur und der Unterhaltung sind es oftmals die fiktionalen Geschichten, die die Herzen der Zuschauer im Sturm erobern. Logisch: Bei erfundenen Geschichten kann der Autor seiner Fantasie freien Lauf lassen und einen perfekten Helden in einer perfekten Geschichte erschaffen.
In der realen Welt hingegen sollte man sich an die Wahrheit halten. Doch ist das wirklich so? Anscheinend sind wir so von fiktionalen Geschichten eingenommen, dass sie sie es bis in unsere Nachrichten geschafft haben, und es ist sogar so weit gekommen, dass wir die Wahrheit, wenn sie denn ans Licht kommt, geflissentlich ignorieren.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen: Was verbinden Sie mit dem Namen Mohammed al Dura?
Vielleicht erinnern Sie sich an den Namen, weil er von Daniel Pearls Mördern erwähnt wurde, wenige Sekunden bevor sie ihn vor laufender Kamera köpften, damit es die ganze Welt sieht – im Namen von Mohammed al Dura, dem Märtyrerkind.
Das herzzerreißende Foto Al Duras, das nur Sekunden vor seinem Tod gemacht wurde, wurde sowohl in der westlichen als auch in der islamischen Welt berühmt. So erschien es beispielsweise auf iranischen und irakischen Briefmarken, mit dem Text „Ermordet von der zionistischen Armee in Palästina“. Ein totes Kind ist der grausamste Preis des Krieges. Kann es da verwundern, dass hunderte Menschen im Namen dieses Kindes wütend auf die Straßen gingen und sogar ihr Leben gaben?
Das einzige Problem mit dieser mythologischen Tragödie ist: Sie ist nicht wahr. Das habe nicht ich beschlossen, sondern der Oberste Gerichtshof Frankreichs, der kürzlich ein Urteil in der Angelegenheit gesprochen hat. Haben Sie davon gehört? Wahrscheinlich nicht. In den vergangenen 12 Jahren haben wir uns so an den Mythos gewöhnt, dass wir ihn wirklich nicht durch die Wahrheit zerstören lassen wollen.
Die echte Geschichte von Mohammed al Dura handelt von einem Jungen, der zu Beginn der Zweiten Intifada mit seinem Vater zwischen die Feuerlinien der Israelis und der Palästinenser geraten ist. Der französische Fernsehsender FR2 sendete ein erschütterndes und unscharfes minutenlanges Video von ihm, wie er versucht, sich zu verstecken und im Kugelhagel weint, bis er schließlich auf dem Schoß seines Vaters zusammenbricht und stirbt. Israel und die israelischen Verteidigungsstreitkräfte wurden beschuldigt, die Öffentlichkeit wendete sich gegen das Land.
Mit den Jahren kamen verschiedene Erkenntnisse über diese Geschichte ans Licht. Alles begann mit einer gründlichen Untersuchung des Vorfalls durch die israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Die Untersuchung stellte fest, dass es aufgrund der Schussrichtung die einzig logische Schlussfolgerung ist, dass der Junge von palästinensischen Kugeln getroffen wurde und nicht von israelischen. Ein investigativer Fernsehbericht aus Deutschland hat belegt, dass die Überreste des begrabenen Jungen, der al Dura sein sollte, in Wirklichkeit zu einem anderen Jungen gehörten. Das warf die Frage auf, ob der ganze Vorfall wirklich stattgefunden hat oder vielleicht nur für zynische Propagandazwecke gestellt war. Es stellte sich ebenfalls heraus, dass das Filmmaterial von dem Vorfall gar nicht von einem französischen Journalisten stammte, sondern von einem Palästinenser, der es dem FR2-Kanal zuspielte. Und FR2 sendete es sofort, ohne die Authentizität vorher zu überprüfen. Sie müssen nur bei Youtube suchen, dort finden Sie erstaunliche Reportagen, die infrage stellen, ob dieser Vorfall überhaupt stattgefunden hat.
Doch die größte Lüge von allen wurde vergangene Woche vom Obersten Gericht Frankreichs entlarvt. Es kam heraus, dass der Vater von Mohammed al Dura gelogen hat, als er dem französischen Fernsehen berichtete, dass sein Arm und sein Bein bei dem gleichen Vorfall bei dem sein Sohn gestorben war, verletzt wurden. Das war glatt gelogen, wahrscheinlich weil er von Hamas-Terroristen dazu gezwungen wurde.
Die Verletzungen des Vaters waren ihm Jahre vor diesem Vorfall zugefügt worden, von barbarischen Hamas-Terroristen im Gazastreifen. Sie griffen ihn mit Äxten und Messern an, verwundeten ihn schwer und lähmten seinen rechten Arm. Er wurde in ein israelisches Krankenhaus gebracht und von einem israelischen Arzt behandelt. Der Arzt erzählte die Geschichte später einer Zeitschrift, nachdem er die Falschaussage Al Duras im französischen Fernsehen gesehen hatte. Daraufhin verklagte Al Dura den Arzt wegen Verleumdung.
Ich möchte diese Lüge übrigens nicht dem Vater zur Last legen. Wenn ich mich zwischen einer Lüge und einer weiteren Attacke mit Äxten und Messern entscheiden müsste, würde ich höchstwahrscheinlich genauso handeln. Doch während das Motiv des Vaters relativ klar ist, stellt sich die Frage: Was ist das Motiv der westlichen Welt, über die Wahrheit zu schweigen und weiter an den Mythos zu glauben?
Traurigerweise sind so die Spielregeln unserer angeblich so wahrheitsgebundenen Welt. Der Mythos wurde weltweit verbreitet und hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Er wird für immer fortbestehen und wer weiß wie viele Menschen noch zum Hass „inspirieren“. Und was ist mit der wahren Geschichte? Aus irgendeinem verrückten Grund hat niemand Interesse daran, darüber zu berichten. Keine der großen Nachrichtenagenturen und –sender, die vor zwölf Jahren über den Fall berichtet haben, halten es für notwendig, jetzt über das Urteil des französischen Obersten Gerichtshofes zu informieren. Es wird also unser kleines Geheimnis bleiben. Und es gibt uns zu denken – ist das einzige was wir wollen, eine gute Geschichte mit einem Helden? Und wenn wir eine solche vor uns haben – dann wollen wir bitte nicht mit Fakten verunsichert werden.
Oh, und für den Fall, dass Sie persönlich die Wahrheit verbreiten und den Mythos zerstören wollen: Nun ja, vielleicht wollen Sie einfach diese Geschichte teilen und versuchen, einen kleinen Unterschied in dieser Welt zu machen, in der es schwer geworden ist, zu wissen, was man noch glauben kann.
Lilac Sigan schreibt für die israelische Tageszeitung Maariv und hat drei Bücher veröffentlicht.
(Quelle: Huffington Post)
Die auf dem Blog veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.
Mihai-Robert Soran // Mrz 1, 2012 at 16:08
Der Kommentar ist gar nicht korrekt. Von welchem Mythos redet er? Vom Tod des Kindes oder von der Verletzungen des Vaters? Das französische Revisionsggericht (übrigens eins von mehreren, die nichts mit einem Obersten Gericht zu tun haben) hat nur eine Frage zu untersuchen gehabt: War der arabische Vater in Recht, den israelischen Arzt wegen Verleumdung vors Gericht zu zerren und von ihm 15.000 Euro (glaube ich) in erster Instanz zu erhalten? Die „Verleumdung“ war die Aussage des Arztes, die Verletzungen stammten von einer Hamas-Attacke auf den Vater. Das Revisionsgericht entschied, dass der Arzt sich keiner Verleumdung schuldig gemacht hat.
Über den Tod des Kindes wurde nicht gesprochen, also auch nicht über das „Mythos“, dass bis heute ungeklärt ist.
ivan // Mrz 8, 2012 at 23:26
Schauen sie sich die Reportagen an.Der angebliche Tote bewegte sich noch…
Klaus von Prümmer // Mrz 3, 2012 at 10:25
Ich erinnere mich gut an die Nachforschungen, die nicht nur die israelische Armee angestellt hat. Es waren auch unabhängige Institutionen beteiligt, und sie alle kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass es sich um einen tragischen Unfall während eines Feuergefechts gehandelt hat, dass aber der Junge nicht von israelischen Soldaten getötet worden sein kann.
Darüber ist seinerzeit berichtet worden – Leser von seriösen Publikationen – z.B. der FAZ – sind also informiert. Ein Artikel kann natürlich nicht auf der ganzen Welt den Eindruck einer monatelangen Irreführung korrigieren. Vielleicht ist Facebook ja wirklich eine Plattform, mit der sich das verzerrte Bild zurechtrücken lässt.